Wer Zweiflern noch einmal die besondere Atmosphäre, die ein Antiquariat verströmt, vor Augen führen will, sollte diesen unbedingt einen Film empfehlen, genauer, einen Dokumentarfilm über die Geschäftsaufgabe des Hamburger Antiquariats Bernhardt. Wir lesen noch ist eine ruhige, mit wunderschön sparsamer Klaviermusik von Natsumi Echigo unterlegte Studie des Regisseurs Christian Grasse, eine Liebeserklärung, einzig montiert aus geduldiger Beobachtung, Interviewsequenzen mit Inhaber Torsten Bernhardt und nachdenklichen Bemerkungen von Stammkunden und zufälliger Laufkundschaft am Wochenende vor dem Umzug. Das alteingesessene Antiquariat musste nach über 60 Jahren seinen Standort nahe des Hauptbahnhofs im City-Hof, einem eigentlich denkmalgeschützten Wirtschaftswunder-Bürohochhauskomplex, räumen: Der gesamte Block wird abgerissen. Und mit ihm entschwindet ein »Exoticum« wie Regisseur Grasse im Gespräch mit den Marginalien bemerkt, hinausgedrängt in die Außenbezirke der Stadt: »Direkt gegenüber des historischen Kontorhausviertels, trafen sich hier Architekten, Schiffsbauer, Historiker und eine illustre Schar an Durchreisenden. Der Standort war, genau am Rand der hochpolierten Innenstadt, ideal. Nun nach Wandsbek verzogen, ist er neben Handygeschäften, Brautmodeläden, Fahrschulen und Dönerbuden immer noch ein Exoticum, aber ohne Publikum. Eigentlich ein antiquarisches Todesurteil.«
Doch Bernhardt gibt nicht auf. Der Zuschauer begleitet den Inhaber in zweiter Generation zwischen seinen Regalen, am Umzugstag zwischen Helfern, immer wieder beim Gespräch mit Kunden. Und Grasse findet wunderbares Personal: Ein junges Mädchen erzählt vom Sog der Geschichte zwischen Buchdeckeln: »Wenn ich alte Geschichten lese, muss ich auch alte Geschichte riechen können. Wenn ich ein Buch lese, das meine Oma schon gelesen hat, dann fühle ich die Geschichte zwischen den Fingern.« Ein hamburgisch schnackender Stammkunde philosophiert über den Medienwandel: »Die Echokammern der sozialen Medien werden die Meinungsvielfalt verdrängen. Das hat das Buch nie getan, es hat sie gefördert. Du musstest Bücher in eigener Sprache wiedergeben, um andere davon zu überzeugen. Du konntest nicht einfach nur weiterleiten und selbst nichts dazu tun.« Und ein zufällig hereinschauender Herr auf Suche nach Polarliteratur entpuppt sich als ehemaliger Verleger des Astrid Lindgren-Verlags Norstedt in Schweden, der dem Wandel auch optimistisch gegenüber steht: »E-Books sind gut fürs Buch. Aber nicht gut für die Buchhandlungen. Das Antiquariat kann im Internet überleben.«
Vielleicht auch noch vor Ort in Wandsbek. Ein geglückter, trotz seiner Ruhe spannender Film, der Wehmut und Hoffnung gleichermaßen in sich trägt. Die empfehlenswerte DVD kann über das Antiquariat Bernhardt am neuen Standort bezogen werden.
(Till Schröder)
Wir lesen noch. Antiquariat Bernhardt, ein Portrait. Ein Film von Christian Grasse.
CGHamburg Film 2018. 43 Minuten, 10 Euro
Antiquariat Bernhardt, Wandsbeker Chaussee 159, 22089 Hamburg, 040-336303