Er dürfte zu den zu Unrecht lange vergessenen mitteldeutschen Autoren des letzten Jahrhunderts zählen: Walter Bauer (1904–1976). Geboren als Arbeiterkind in Merseburg, wurde Walter Bauer Lehrer – es war aber vor allem sein zweites Buch, das ihn 1930 schlagartig berühmt machte: Stimme aus dem Leunawerk. Die Größen der Epoche: Walther Victor, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig, Max Tau und Hermann Hesse, lobten diesen Band, der Lyrik und lyrische Prosa enthielt und auf eine neuartige Weise in Tradition von Expressionismus und Neuer Sachlichkeit eine Literatur der Arbeitswelt schuf, die ihresgleichen suchte. Der Beginn eines Werks, das sich weit öffnen sollte und zu Lebzeiten neunzig Bücher zeitigen: Romane, Erzählungen, Essays, Stücke, Hörspiele und immer wieder Gedichte. 1952 wanderte Bauer, von den restaurativen Entwicklungen in der jungen Bundesrepublik und nicht zuletzt durch das Scheitern einer Liebe enttäuscht, nach Kanada aus. Es folgten schwere Jahre als Tellerwäscher und Hilfsarbeiter, danach studierte Walter Bauer in Toronto Sprache und Literatur und brachte es zum Lecturer und schließlich zum Associate Professor. Sein Werk wuchs und wuchs – ein Dilemma seiner Diaspora aber war, dass Bauer weitgehend sein Publikum verlor. Sein Kollege und Bruder im Geiste Jürgen Jankofsky, Merseburger wie er und in Leuna lebend, war maßgeblich an der Wiederentdeckung Bauers in seiner Heimat beteiligt, er vertritt mittlerweile die weltweiten Rechte an dessen Werk. Seit 1980 gibt es eine Reclam-Ausgabe der Stimme aus dem Leunawerk, sie wurde initiiert durch Hans-Martin Pleßke (1928–2010), der mehr als vier Jahrzehnte an der DNB wirkte und einer der ersten Walter-Bauer-Preisträger war. So ehrte die Buchpremiere am 23.04. auch ihn. Gegenstand war der neue Band der Bauer-Reihe im Mitteldeutschen Verlag, der zwei Gedichtbände aus dem Nachlass vereint. Herausgeber Jankofsky hatte dafür mit Thomas Kunst und Pirckheimer-Freund André Schinkel zwei Preisträger und Adina Heidenreich und Christoph Liedtke zwei Bauer-Stipendiaten geladen. Er selbst, Bauer-Preisträger 1996, moderierte den Abend, zeigte die Bücher des Autors und präsentierte seltene Aufnahmen des Dichters. Die Eingeladenen lasen dazu Texte des zu Ehrenden. In der Buchreihe erscheinen neben Sammelbänden und Monografien des Dichters auch die Funde aus dem Nachlass, nebst den Gedichten auch Artikel, Essays und Kindertexte Walter Bauers. Den Abschluss soll eine Auswahl aus den Tagebüchern bilden. In den letzten Jahren ist eine kleine Bauer-Renaissance zu verzeichnen, so fußt das Drehbuch des Hollywood-Films Grey Owl auf einem Band des Autors, werden immer wieder Einzeltitel nachverlegt und sind die Hörspiele Bauers nach wie vor im ÖRR zu konsumieren. Gute Aussicht also zum 120. Geburtstag des Dichters, der seine Herkunft nie vergessen konnte, am 04.11.24, dem Tag, an dem auch ein neuer Walter-Bauer-Preis vergeben wird.
(André Schinkel/DNB/Pressemitteilung)