Es ist der dritte reguläre Gedichtband des gebürtigen Ascherslebers, und er erschien nach zwei Büchern im Mitteldeutschen Verlag (Auf die Äpfel hatte der Herbst geboxt von 2014 und Die Berichte des Voyeurs von 2021) bei Urs Engeler in der rough-books-Reihe (Band 59), in der auch die Büchnerpreisträgerin und Seele der aufgeweckten Szene Elke Erb verlegt. Ungewöhnlich ist, dass die Edition des Bandes von Michael Spyra in einer Reihe mit den experimentellen, konkreten und seriellen Textsammlungen steht, für die Engeler eigentlich bekannt ist ... bedient sich der Autor doch vornehmlich klassischer und gebundener Metren, hier vor allem in streng alternierenden, gereimten Versen wie auch im Vorgängerbuch: Möglich, dass die Zurückwendung zu den gebauten, nicht mehr zersplitterten Formen doch wieder in den Ruch der Avantgarde gerät nach all dem, nun ja, auch Buchstabensalat, der durch die vergangenen Jahrzehnte geisterte. Nein, Spyra ist dabei nicht, und das ist reziprok reizvoll, um weltvolle Themen und Motive verlegen, die er da in seine unter anderem an Vorgänger und Vorbild Ror Wolf geschulten Texte bindet. Nichtsdestotrotz widmet er sich in den teils hohen Tönen durchaus weltlichen, alltäglichen Dingen, von einer Reise nach Kuba einmal abgesehen, und schafft so eine luzide Melange aus Ätherik und Bodenkunde. „Insgesamt habe ich den Eindruck eines angenehm unangenehmen Buches. Es ist dunkel und trübe, einsam, verlassen, gleichgültig und lakonisch, ein grauer Donnerstag ohne Termine. Es gefällt mir damit ausgesprochen gut und ich bekomme große Lust, die Familie sich selbst zu überlassen und in eine Kneipe zu gehen“, schreibt der Autor im Vorfeld der Drucklegung an die Verleger. Und diese setzen die Selbstauskunft nicht nur aufs Cover des Bands, sondern antworten in gleichsam zärtlicher Lakonie: „Dem lässt sich, nüchtern betrachtet, im Grunde nicht viel hinzufügen. Außer, dass es verschiedenste Landschaften in diesem Gedichtband gibt, in denen viele Menschen verloren gehen.“ Irgendwie doch eine gute Aussicht in diesen in die Zerkrümlung und zweispaltende Zerwüstung geratenden Zeitläuften, dass ein für seine Liebe zum Buchstabenbiegenden bekannter Editeur sich auf diese sortierthebige Versuchsanordnung von Michael Spyra einlässt. Und in die Kneipe gehen kann man dann immer noch in diesem wider alle Zeit-Metronomik leuchtenden Spätsommer. Und wenn man gut beraten ist, nimmt man einen Band Gedichte zum Bier. (Michael Spyra: In Auflösung begriffen, Zürich: Urs Engeler 2023, 82 S., ISBN 978-3-90605-091-1, 14 Euro.)
(André Schinkel)