„Spurensuche. 1990. Grafik, Fotografie und Malerei aus dem Kunstarchiv Beeskow“ heißt die Ausstellung, die am Sonnabend unter großer Publikumsbeteiligung eröffnet wurde. Im Zentrum steht eine Mappe, die anlässlich des 100. Geburtstages von Johannes R. Becher entstand.
Was hat die 18 Künstlerinnen und Künstler 1989/90 an einem Mann interessiert, der 1891 geboren wurde, mit 19 Jahren einen Doppelselbstmord überlebte, als Wortführer des Expressionismus galt, als KPD-Mitglied nach Moskau emigrierte und Stalin verehrte, Präsident des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschland wurde und 1958 Kulturminister der DDR – Johannes R. Becher? Das fragten sich die Mitarbeiter des Kunstarchivs Beeskow unter Leitung von Angelika Weißbach, als ihnen eine Kulturbundmappe mit insgesamt 30 Werken in die Hände geriet, die zum 100. Geburtstag des Dichters 1991 vom Kulturbund herausgegeben werden sollte. Als Antwort fielen zu dem Kulturpolitiker und Poeten Becher sowohl bei dem Grußwort durch die Leiterin des Kunstarchivs Florentine Nadolni und dem Einführungsvortrag durch die Kuratorin Angelika Weißbach sowie durch Besucher immer wieder die Worte „Zerrissenheit“ und „Ambivalenz“. Das ist deutlich an den Arbeiten abzulesen und war ganz im Sinne des damaligen Auftraggebers als Mitarbeiter des Kulturbunds, Hans Peter Klausnitzer, der auch anwesend war. „Ohne mich gäbe es 90 Prozent der Mappe nicht“, ist er stolz auf seine Spurensuche, an der sich viele seiner guten Künstler-Freunde beteiligt hatten. Er nennt Uwe Pfeifers Blatt „Grünewald (Becher)“. „Wie Becher da blickt, und das Blut tropft ihm über das Gesicht vom gekreuzigten Jesus herab, das sagt alles.“ Auf ein Blatt von Joachim John deutend, zeigt er. „Becher schreibt mit zwei Händen, und Stalin hält ihm den Mund dabei zu.“
Nicht nur das interessierte am Sonnabend zur Ausstellungseröffnung mit allen Blättern in Ergänzung durch zwei Plakate, einer Vitrine mit Originaldokumenten sowie Gemälden aus dem Kunstarchiv, die zur gleichen Zeit entstanden. Auf einem Blatt von Otto Möhwald liegt ein Mann, der in die leere Stadt guckt. „Damals wusste niemand, dass es keine DDR mehr geben würde“, sinniert Hans Peter Klausnitzer, „aber haben wir es heute besser, oder sind wir immer noch einsam?“ Dass die künstlerischen Werke von damals wieder hervorgeholt werden, soll nämlich auch zum Nachdenken über 30 Jahre Wiedervereinigung anregen. Im Bezug auf Johannes R. Becher bedeutet es, so der einstige Kulturbundmitarbeiter, dass „der Verfasser der DDR-Nationalhymne nicht einseitig als Staatsdichter betrachtet werden darf“. Herbert Schirmer, auf dessen Initiative das Kunstarchiv überhaupt erst entstand, war zur Zeit der Entstehung der Mappe Kulturminister der DDR unter Lothar de Maizière. Auch er denkt an die Ambivalenz von Becher, einmal an seine Hinwendung zur expressionistischen Dichtung, andererseits an seine Dankbarkeitsbezeugungen gegen Stalin, „aber auch an seinen verzweifelten Kampf gegen die Vorurteile seiner eigenen Genossen“. Schirmers Urteil ist: „Man müsste sich heute mit ihm mehr befassen. Er ist eine schicksalhafte Figur, die kaputtgespielt wurde.“
Nicht unerwähnt bleiben soll Hannes Zerbes Improvisation auf dem Klavier zu den so einfachen, aber eindringlichen Zeilen des Dichters: „Heimat meine Trauer ...war, um dich zu einen, dir ein Lied geweiht“ in der Vertonung von Hanns Eisler.
(Elke Lang)
Ausstellung: 5. Oktober 2019 - 1. März 2020
Galerie Burg Beeskow
Frankfurter Straße 23, 15848 Beeskow